Es ist ca. zwei Jahre her, da habe ich im Umfeld der Satellitenaufklärung die Frage gestellt, ob es die Möglichkeit gibt, in Echtzeit zu beobachten, wie man es aus Filmen wie „Staatsfeind Nr. 1“ kennt. Ich speicherte damals in meinem Hinterkopf ab, dass die Verfolgung im Stile von bewegten Bildern und Heranzoomen aus grosser Höhe noch nicht möglich ist, in einem wie im Film gezeigten Detailgrad.

 

Die Reaktionszeit von der Anforderung eines einzigen hochaufgelösten Satellitenbildes von jedem beliebigen Ort bis hin zur finalen Übermittlung, dauert beispielsweise für Kanzlerin Merkel, mittels des SAR-Lupe-Systems, 19 Stunden und wenn es eilt nur 12 Stunden. Doch die Entwicklung hin zur Fähigkeit in Echtzeit zu beobachten hat sich im Zuge der Entwicklung von Drohnen und Bildsensoren dramatisch schnell weiterentwickelt. Die Reportage „Les Drones Un Usage Controversé“ lieferte am 7. November 2013 ein neues Bild der verfügbaren Möglichkeiten, welche hier kurz erläutert werden sollen.

 

Maximum Pixel zu Low Cost

BAE Systems hat demnach ein Kamerasystem namens ARGUS-IS (ARGUS) entwickelt, welches eine neue Generation der Überwachung einläutet. Um Kosten zu sparen, beziehungsweise die Fertigung zu erleichtern, wurde auf die eigene Entwicklung eines Super-Kamera Chips verzichtet und versucht, mit Kamera-Chips zu Arbeiten, die von der Güte ähnlich derer sind, die in modernen Foto-Handys eingebaut werden. ARGUS vereint 368 dieser mosaikförmig angeordneten Kamera-Chips zu einem 1,8 Milliarden Pixel Bild. Ein Argus System entspricht so einem Äquivalent von 100 Predator-Drohnen. Ein solches System lässt es zu, eine Kleinstadt im Blick zu behalten. Das gezeigte Beispiel eines solchen HD-Mosaiks entsprach 39 Quadratkilometern und wurde aus einer Höhe von 5300 Metern aufgenommen. Das entspricht ziemlich genau der Ausdehnung des Stadtgebietes von St. Gallen. Doch das System kann nicht nur Einzelbild-Daten liefern, sondern kombiniert die Aufnahmen zu einem 1,8 Gigapixel Video-Stream. Es ergeben sich daraus 100 Millionen Terrabyte Daten beziehungsweise 5000 Stunden HD Videomaterial pro Tag.

Das Datenzentrum der NSA in Utah soll eines Tages – gemäss einer Zukunftsvision des Pentagon- ein geschätztes Yottabyte an Speicherkapazität liefern, also 1024 Byte. Realistischer sind eher 1019 Byte, ähnlich dem CIA Datencenter. Ein Tag, also volle 24 Stunden Videoüberwachung eines 39 Quadratkilometer grossen Abschnitts, verbraucht bereits gigantische 1018 Byte. Hätte das Rechenzentrum tatsächlich soviel Speicher könnten darin nach heutiger Schätzung 10 Tage und in der Zukunftsvision des Pentagon 1 Millionen Tage an Streams von Orten mit dieser Grösse abgespeichert werden. Begrenzt würde die Speicherfähigkeit wohl nur noch durch die zur Verfügung stehende Bandbreite werden, welche 20 Terabytes pro Minute betragen soll. Die Zahlen zeigen eines auf: eine Speicherung der kompletten digitalen Kommunikation als auch der Echtzeit-Bilddaten rückt in greifbare Nähe.

 

Science Fiction wird zur Realität

Das bedeutet, ein Analyst oder Polizist ist beispielsweise nicht nur in der Lage auf einen beliebigen Ausschnitt zu zoomen, sondern, je nach Kapazität des Datenzentrums, einen Verdächtigen mehrere Tage in die Vergangenheit zu verfolgen. Den Angaben zufolge können bis zu 65 Beobachtungsfenster gleichzeitig geöffnet werden und den Stream somit an mehreren Stellen gleichzeitig im Auge behalten. Die Bedienung kann über einen berührungsempfindlichen Bildschirm erfolgen, wo man mit einem Stift oder einer Maus Ausschnitte markiert und vergrössert. Das Heranzoomen ermöglicht es eine Detailschärfe zu erreichen, die 15 Zentimeter kleine Objekte erkennen lässt. Menschen, deren Kleidung, ihre Bewegungen als auch Gegenstände können so identifiziert werden. Selbst ein Vogel (oder eine Klein-Drohne) kann detektiert werden. Die Software soll es auch schaffen, sich bewegende Objekte zu verfolgen. Im Beispiel-Stream erhielt jedes Fahrzeug eine Art Signatur-Box, die auf das Objekt zentriert bleibt und die womöglich nach Form, Farbe und Geschwindigkeit genügend Daten enthält, um es quasi zu re-identifizieren, wenn es beispielsweise durch eine Brücke hindurchfährt.

 

Das fliegende Auge

Ob Argus bereits eingesetzt wird, beantwortete Yiannis Antoniades von BAE Systems nicht. Aber wenn es nach Ihnen gehen würde, dann würden sie gerne ARGUS sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag einsetzen. Eine Montierung ist an die Drohnen wie Predator, Global Hawk oder dem noch sich in der Entwicklung befindenden Solar-Eagle möglich. Letzteres ist eine Aufklärungsdrohne, die dank Solartechnik dazu im Stande sein soll, fünf Jahre ununterbrochen in der Luft zu bleiben. Man darf gespannt sein, wieweit sich ARGUS in die Nutzung von Militär und Polizei integriert, oder ob diese Art von Echtzeitüberwachung gesetzlichen Regelungen unterstellt wird.

Philipp Hauenstein MA UZH
Vorstand VSN