von Philipp Hauenstein, Vorstand VSN
Die Enthüllungen von Edward Snowden und dessen Flucht sind mittlerweile jedem ein Begriff. Dieser Artikels soll Licht auf seine Unterstützer werfen, um die Flucht aus neuen Blickwinkeln zu sehen. Es handelt sich hierbei um eine erweiterte Zusammenfassung der ARD-Reportage «Die Story im Ersten – Jagd auf Snowden vom 12.1.2015.[1]
Die erste Frage lautet: Wer ist dieser Edward Snowden überhaupt? Er hat Jahrgang 1983 und die Familie, aus der er stammt, kann auf eine militärische Vergangenheit zurückblicken, welche bis in die Kolonialzeit zurückreicht. Er selbst machte Karriere innerhalb der amerikanischen Nachrichtendienste sowie deren zuarbeitenden Unternehmen und hatte im Alter von 27 Jahren bereits Zugang zu den grössten Geheimnissen der NSA. Drei Monate vor Hongkong, beziehungsweise den Enthüllungen, traf er sich ein letztes Mal mit dem Vater in den USA. Dieser sagte in einem Interview, dass sein Sohn bei seinem letzten Besuch deprimiert gewesen sei und dass er ihn so nicht kannte. Kommen wir daher zur zweiten Frage: Was war es für ein innerer Konflikt, den Edward Snowden da mals mit sich austrug, beziehungsweise was motivierte ihn dazu, diesen Whistleblow, diesen Geheimnisverrat, diese Aktion durchzuführen? Der Schlüsselfaktor war die Feststellung, dass die NSA beziehungsweise der Apparat, in dem er diente, zunehmend Entscheidungen fällte, die gegen geltendes Recht verstiessen. Am Beispiel des Programms «Stellar Wind», wo die Sammlung der gesamten Kommunikation der amerikanischen Bevölkerung zur Auswertung im Kampf gegen den Terror im Vordergrund steht, fragte er sich: Wie kann es der Chef der NSA rechtfertigen, gegen die Prinzipien der amerikanischen Verfassung zu verstossen? Daraus leitete Snowden für sich das Postulat ab: Wie können wir uns aus einer Lage befreien, in der die höchsten Repräsentanten einer Demokratie im Geheimen gegen die Interessen des Volkes handeln. Seine Gegner werfen ihm im Gegenzug vor, dass er sich mit seiner Meinung beziehungsweise Tat über das Urteilsvermögen seiner Kollegen und Vorgesetzten stellt, ja sogar über jene des Präsidenten und des Kongresses. Das Argument des Besserwissers fällt, von der arroganten Tat eines Einzelnen wird gesprochen.
Was genau verriet Edward Snowden? Er verriet nicht nur ein Geheimnis. Er verriet alles, was zur Überwachungsstruktur gehörte, auf mehr oder weniger einen Schlag. In einer Detailschärfe, die selten zu finden ist und in die Zukunft hineinwirkt.
Die ersten Tage nach Veröffentlichung vom 6. Juni 2013
Es erschienen die ersten Storys zum NSAÜberwachungsapparat. Snowden, der Informant, gab Stück für Stück weitere Details Preis. Die NSA, so behauptet Michael Hayden, ehemaliger Direktor der NSA, hatte jedoch sehr bald Kenntnis darüber, wer dieser Informant war, der diese Informationen heraus gab und setzt Massnahmen in Bewegung von Seiten CIA, FBI und NSA, um ihn zu fassen. Die Pressevertreter schützten ihren Informanten zunächst, bis sich Snowden selbst via WebVideo am 9. Juni 2013 enttarnte. Zu diesem Zeitpunkt ging er selbst davon aus, dass er es nicht schaffen würde, seinen Verfolgern zu entkommen. Julian Assange beschrieb dessen Lage wie folgt: «Ein 29 Jahre alter junger Mann, in einem fremden Rechtssystem, ist Gegenstand der grössten geheimdienstlichen Fahndung, die die Welt je gesehen hat. Alles sprach dafür, Edward Snowden kommt unter die Räder.»
Beginn der Flucht
Nach dem Bekennervideo flüchtete er aus seinem Hotelzimmer, von wo aus die Datenübermittlung zur Presse sowie die ersten Interviews stattfanden, in die Wohnung eines Unterstützers in Hongkong. Sarah Harrison, Journa listin von Wikileaks, bekam Information aus der Londoner WikileaksZelle um Julian Assange und erreicht Snowden drei Tage nach dessen Abtauchen in der Privatwohnung in Hongkong. Snowden kannte die Geschichte des Soldaten Chelsea Manning. Wikileaks wollte Snowden helfen beziehungsweise verhindern, dass ihm ein ähnliches Schicksal zuteil würde. Operation Asyl begann.
Operation Asyl
Die Anklage legte Snowden folgendes zur Last: Spionage, Diebstahl und Weitergabe von Regierungseigentum. Verwunderlich war in den Augen Snowdens der Vorwurf der Spionage, denn es ging nicht um die Zusammenarbeit mit einer ausländischen Regierung, sondern um die Zusammenarbeit mit der Presse.
Hongkong wurde von den USA ersucht, Hilfe zu leisten bei der Festnahme. Die Dokumente waren auf dem Weg. Die Regierung in Hongkong jedoch spielte auf Zeit. Michael Hayden hielt im Interview noch Folgendes fest: «Die Chinesen haben einen gross artigen Geheimdienst. Ich würde all meine Achtung vor ihnen verlieren, wenn sie nicht sehr genau gewusst hätten, was sich abspielte.»
Edward Snowden drohten grosse Konsequenzen, doch er wollte zu diesem Zeitpunkt Hongkong nicht verlassen, obwohl es keinen anderen Ausweg mehr gab. Wikileaks arbeitete für ihn weitere Optionen aus, aus denen er er wählen sollte.
Die Dokumente der USBehörden betreffend der Festnahme trafen in Hongkong ein. Es war Freitagabend. Der zweite Vorname von Edward Snowden war falsch geschrieben. Ein Haftbefehl muss ausgestellt werden und der Vollzug stattfinden. Doch es lag in der Hand der Behörden Hongkongs, ob sie diese Massnahmen noch am Wochenende vollziehen würden oder nicht.
Edward Snowden war hin und her gerissen betreffend der Flucht via Flughafen Hongkong, da dort die Festnahme drohte beziehungsweise stattfinden musste und damit zwangsläufig die Freiheit zu Ende gewesen wäre.
Der letzte Fluchtzeitpunkt
Dieses Wochenende war der letztmögliche Fluchtzeitpunkt. Um die Aufmerksamkeit der USA aufzuteilen, kaufte Edward Snowden ein Ticket nach Indien zwei Tage nach dem eigentlichen Flug. Parallel besorgte Wikileaks über zwölf verschiedene Tickets. Helfer von Wikileaks überprüften auf geheimen Wegen die Polizeicomputer der Behörden von Hongkong, um nachzusehen, ob ein Haftbefehl eingetragen wurde. Doch dieser fehlte weiterhin. Zum Aufbruchszeitpunkt überraschte das Helferteam, beziehungsweise Sarah Harrison, ein verzögerndes Element. Der Drucker machte Probleme und das Ausdrucken der vielen Flugtickets dauerte länger als gedacht, weshalb sie sich darum sorgte, gemeinsam mit Edward Snowden den Flug rechtzeitig zu erreichen.Der Flughafen war ab jetzt das Nadelöhr. Bei der Passkontrolle reagierte das System, und die Beamten der Sonderverwaltungsrepublik überprüften den Ausweis genauer. Edward Joseph Snowden wurde gesucht, aber in den Fahndungsdokumenten wurde Ed ward James Snowden aufgelistet. Aufgrund der falschen Schreibweise wurde der gesuchte Snowden durchgelassen.
Das ebenfalls Edward Snowden zugute kam, war die Tatsache, dass sein Reisepass nicht annulliert war. Dies geschah erst nach dem Verlassen Hongkongs.
Das Flugzeug konnte somit starten und flog via chinesischen und russischen Luftraum nach Moskau. Snowdens Ziel war es, nach Lateinamerika weiterzufliegen. Doch ab jetzt funktionierte der Reisepass nicht mehr.
An dieser Stelle kann man argumentieren, dass dies dem Festsetzen sicher dienlich wäre, aber es passierte auch zu einem Zeitpunkt beziehungsweise an einem Zielort, wo Edward Snowden sich in einem Land befand, welches den USA nicht gerade freundlich gesonnen war. Das FBI hoffte, ihn in Moskau abgreifen zu können.
Hilfe von Wikileaks
Es existierte eine Mobilfunkverbindung zwischen Edward Snowden und Julian Assange. Wikileaks versuchte Snowden zu helfen, indem sie mit dem Bot schafter Ecuadors diplomatischen Schutz organisierte. Doch ohne gültigen Reisepass gab es keine Bordkarte für den Flug.
Die Reise endete rein dokumentetechnisch gesehen in Moskau. Es war der Zeitpunkt, wo der FSB sich einklinkte. Agenten fragten ihn, ob er kooperieren würde, und liessen ihn wissen, dass er im Gegenzug den Flughafen verlassen dürfe. Snowden verneinte. Die Russische Föderation verweigerte ihm da raufhin die Einreise. Der Transitbereich F und ein Zimmer ohne Fenster wurden für einen Monat das neue Zuhause von ihm und Sarah Harrison.
Edward Snowden stellte Asylanträge in 21 Ländern. Das Resultat der Asylanträge: Schreiben, die andeuteten, dass es keine Reaktion geben würde, keine Reaktion insgesamt oder sofortige Ablehnung.
Südamerika als Ziel
Lediglich Venezuela und Bolivien traten auf sein Gesuch ein. Doch dorthin war ein Entkommen nicht möglich, denn es fehlte die notwendige Unterstützung von Seiten des Westens, damit dies eine sichere Reise hätte werden können. Daraufhin wurden von Wikileaks Pläne mit Privatjets und Präsidentenmaschinen ausgearbeitet. Letztere geniessen nach dem Wiener Abkommen Rechte wie ein Hoheitsgebiet.
Der bolivianische Staatschef Evo Morales äusserte beim Kongress der Gas exportierenden Staaten in Moskau zwei Monate später, dass er ihm Asyl gewähren würde. Die USA hatten nun Angst davor, dass dieser ihn mit seinem Präsidentenflugzeug mitähme. Auf dem Rückflug kam es zu seltsamen Vorfällen diplomatischer Natur. Portugal und Frankreich genehmigten trotz des Status der Maschine von Morales keine Zwischenlandungen für das Auftanken. Frankreich beispielsweise entzog dem bolivianischen Jet die Genehmigung, seinen Luftraum zu durchqueren, beziehungsweise strich dessen diplomatische Einflugsgenehmigungsnummer. Der Jet wurde schlussendlich zur Landung gezwungen und durchsucht. Doch Snowden war nicht an Bord. Julian Assange behauptet daher im Interview metaphorisch: «Es war so greifbar und offensichtlich, so als sei das Meer über dem Boden zurückgewichen. Man konnte die Machtstrukturen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten sehen. Sie lagen offen zu Tage, wie Steine am Strand. Man konnte sehen, dass Westeuropa sich kein Bein für ihn ausriss. Man konnte sehen, dass in Wahrheit Europa für die Gegenmannschaft spielt.»
Desinformationskampagne von Wikileaks
Die Antwort auf die Frage, wie die USA im Hintergrund zu derart intensiven Manövern gezwungen werden konnten, liegt in der Desinformationskampangne Wikileaks. Ein Teil dieser falschen Fährten waren beispielsweise unverschlüsselte Anrufe bei Botschaften, um die Überwachungskapazitäten aufzuteilen und den Fokus auf den MoralesFlug zu verschieben. Michael Hayden gibt im Interview zu, dass er der Möglichkeit, dass die amerikanischen Kräfte einer Desinformationskampagne im Zusammenhang mit dem MoralesFlug unterliegen könnten, keinen Platz in seiner Gedankenwelt einräumte, bis ihn der Journalist in der Dokumentation damit konfrontierte. Ebenso gibt Julian Assange zu Protokoll, dass es ihn überrascht hat, dass dieses Ablenkungsmanöver derartig spektakuläre Reaktionen auslösen konnte.
Blamage für die USA
Doch der Preis, den diese Aktionen nach sich zogen, war zum einen, dass Snowden nun der Status als Verfolgter mehr als zuvor zugeschrieben wurde, die amerikanischrussischen Beziehungen auf den grössten Tiefpunkt fielen, und bis heute andauern. Das Resultat war ausserdem, dass Snowden von Seiten Russlands Asyl gewährt bekam. Michael Hayden gibt im Interview zu, dass dieser Moment eine Blamage darstellte, welche zwar nicht ganz so peinlich gewesen war, wie die Geheimdokumente zu verlieren, aber doch peinlich genug.
Fazit
Die USA beharren weiterhin auf ihrer Forderung, dass Edward Snowden ausgeliefert wird, und weigern sich, ihn als Whistleblower anzuerkennen. Snowdens här teste Gegner können beispielhaft mit folgendem Zitat von Michael Hayden beschrieben werden: «Sehr viele Menschen wie ich würden niemals eine Amnestie oder irgendeinen Deal mit Snowden in Betracht ziehen. Es gibt 100 000 Mitarbeiter der amerikanischen Nachrichtendienste, die ihren Amtseid nicht gebrochen haben. Wenn sich meine Regierung an irgendeiner Willkommensgeste für Herrn Snowden beteiligt, die auch nur im Entferntestem nach einem solchen Vorgehen riecht, würde das all diese Menschen vor den Kopf stossen, von denen sowohl die Sicherheit als auch die Freiheit unserer Nation abhängt. Das ist keine gute Idee.»
Edward Snowden kann mit folgendem Zitat dazu gegenübergestellt werden: «Jeder, der einmal eine Grossmacht blossgestellt hat, wird sich nie in Sicherheit wiegen können. Solange Menschen einen Sinn für Vergeltung haben, solange sie glauben Exempel statuieren zu müssen, damit sich niemand mit ihnen anlegt, werden Abweichler immer in Gefahr sein.»
An dieser Stelle endet der Einblick in die Ereignisse rund um die Flucht von Edward Snowden. Er sollte vor allem aufzeigen, dass Snowden nicht vollkommen allein war, sondern dass es durchaus einen Gegenspieler zur NSA gab, der ihm assistierte und trotz der DavidgegenGoliathSituation einige Desinformationen geschickt platzieren konnte. Glück war ebenfalls reichlich mit im Spiel. Die Flucht hätte an etlichen Stellen vorzeitig zu Ende sein können.
[1] NDR, WDR, DR, Ein Film von John Goetz und Poul Heilbuth, Die Story im Ersten – Jagd auf Edward Snowden, Dokumentation, erstmals ausgestrahlt am Montag, 12.1.2015, abrufbar unter: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/12012015diestoryimerstenjagdaufsnowden100.html (8. 2. 2015).
[Anm. LH: aus rechtlichen Gründen ist der Film unter diesem Link nur innerhalb Deutschlands abrufbar. Er ist aber auch via Youtube unter folgendem Link verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=cjI5OACk-Ys (29.12.2015)]
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