von Philipp Hauenstein, VSN Vorstand
Unit 8200 ist eine Eliteeinheit des israelischen Militärnachrichtendienstes und sie arbeitet eng mit den israelischen Sicherheitsdiensten zusammen. Sie befasst sich mit elektronischer Aufklärung und Decodierung und wird häufig mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA verglichen. 43 darin dienstleistende Reservisten schreiben in einem Brief im September 2014, welcher in der Zeitung «Jediot Ahronot» in Teilen veröffentlich wird, dass sie «nicht länger in diesem System dienen, das die Rechte von Millionen Menschen verletzt».
Es sind Elite-Soldaten, welche gegen die «Übergriffe» des israelischen Militärs in Form von gezielten Tötungen und einer gezielten, bis in die Intimsphäre reichenden Ausspähung von pa lästinensischen Zivilisten protestieren. Der zentrale Aufruf der 43 Fernaufklärer lautet: «Wir rufen alle Soldaten, die in der Einheit dienen oder dienen werden, und alle israelischen Bürger dazu auf, ihre Stimme gegen diese Rechtsverstösse zu erheben und diesen ein Ende zu setzen». In den folgenden Zeilen liefern sie konkrete Handlungsanweisungen, wie dem Protest Geltung verliehen werden soll. Die 43 Unterzeichner des Briefes kündigen an, ihrer jährlichen Einberufung nicht mehr Folge zu leisten. Sie nehmen somit die daraus resultierende Haftstrafe in Kauf, denn laut dem Militärgesetz Israels müssen Männer nach der Schulzeit drei Jahre und Frauen zwei Jahre Wehrdienst leisten.[1]
Refuseniks
Dass es immer wieder Personen gibt, die den Wehrdienst verweigern, sogenannte «Refuseniks», ist nichts Neues in Israel. Aber noch nie gab es diese unter den Elitesoldaten der Unit 8200. Die NZZ schreibt: «Wer in der Eliteeinheit 8200 dient, hat gewöhnlich gute Aussichten auf eine Karriere im israelischen HightechBusiness. Die versiertesten Hacker, geübt in der Kunst des Dechiffrierens und Abhörens, kommen in Israel meist aus der streng geheimen Abteilung des militärischen Abschirmdienstes. Ihr Prestige lässt sich mit dem von Kampfpiloten vergleichen, auch wenn ihre Arbeit am Schreibtisch stattfindet.»[2]
Was war es also im Detail, was die Soldaten dazu gebracht hat, dermassen zu rebellieren und ihre eigene Karriere aufs Spiel zu setzen? Die israelische Nachrichtenseite «ynet» sprach mit sechs Unterzeichnern. Diese berichteten, dass die Soldaten ein Jahr lang über den Brief nachgedacht hätten, bevor sie ihn schliesslich veröffentlichten. Ein Schlüsselmoment war, so berichtet einer von ihnen, als er den Film «Das Leben der Anderen» sah und insbesondere die Szene, wo die Einheit der Staatssicherheit der DDR ein Künstlerpaar abhört und dessen Leben zerstört. Der Soldat der Elite einheit spürte Mitleid mit den Opfern, denen die Privatsphäre – ein fundamentales Recht – genommen wurde. Plötzlich, so heisst es, durchfuhr es ihn: In der Rolle des Stasi-Mitarbeiters erkannte er sich selbst. Er sagte: «Wir tun genau dasselbe (…) nur sehr viel effizienter».[3]
Gewaltprävention und Erpressung
Einer der 43 erklärt, «dass einiges, was 8200 unternehme, zwar mit Gewaltprävention zu tun habe, aber manches bloss die palästinensische Gesellschaft zerstöre. Oft genug würden Informationen über sexuelle Präferenzen, familiäre Konflikte, Geld sorgen oder krankheitsbedingte Notlagen gesammelt, um Palästinenser erpressbar zu machen und damit als Kollaborateure zu gewinnen.»[4]
Kernanliegen
Was ebenfalls zu einem Kernanliegen der 43 Verweigerer zählt, ist das Aufzeigen der täglich ge-lebten Gleichgültigkeit. Die israelische Gesellschaft, so die Soldaten, lebe in dem Glauben, dass nur potenzielle Terroristen in das Visier der Späher gerieten. Doch ein grosser Teil der Abgehörten seien unschuldige Zivilisten und hätten nichts mit Gewalt gegen Israel zu tun. Eine Übersetzerin für Arabisch erzählte Ynet, dass Sie in den Teams gearbeitet hat, die für die Informationen über militärische Ziele der Armee im Gazastreifen zuständig waren. Sie hat verfolgt, wenn Israels Luftwaffe diese Ziele schliesslich angriff. In den Sekunden nach dem Einschlag der Bombe sei es in dem Raum still geworden. Sie beschreibt, dass wenn die IDFBombe erfolgreich ihr Ziel getroffen hatte, sich der Raum mit Applaus und Freudenjubel füllte, aber ob Zivilisten bei dem Angriff verletzt wurden, habe niemanden interessiert.[5]
Gesetzliche Lage
Gesetzlich sieht die Lage folgendermassen aus: In Israel gilt das zivile Gesetzbuch, im Westjordanland hingegen das Militärrecht, welches keinerlei Datenschutz kennt. Die 43 Soldaten schreiben, dass die palästinensische Bevölkerung völlig der Beobachtung durch die israelische Geheimdienstarbeit ausgeliefert sei. Es werde «kein Unterschied (…) gemacht, ob Palästinenser in Gewalt involviert sind oder nicht. Die gesammelten Informationen schaden unschuldigen Leuten.» Die Informationen würden gezielt zur politischen Verfolgung Einzelner und zur Spaltung der Gesellschaft genutzt, heisst es. In vielen Fällen werde auch mit Verweis auf geheime Erkenntnisse, die man zum Schutz von Informanten nicht lüften könne, dem jeweiligen Beschuldigten die Chance geraubt, sich zu verteidigen.[6]
Mehrere Lager
In Israel haben sich daraufhin mehrere Lager gebildet. Es gibt den Block, der sich für harte Disziplinarmassnahmen einsetzt. Er ist in der Armee, in Teilen der Parteienlandschaft oder den Veteranenverbänden anzutreffen. Und dann gibt es auf der Gegenseite beispielsweise das Lager der in Sicherheitsfragen bewanderten Kommentatoren und Medienvertreter wie Shimon Schiffer. Er argumentiert, dass der im Protestschreiben angestellte Vergleich der israelischen Geheimdienste mit Stasi-Machenschaften, wie sie im deutschen Kinofilm «Das Leben der Anderen» dargestellt werden, zwar absurd sei, aber es doch ausreichend Anlass gebe, das zu begrenzen, was Israel in den besetzten Gebieten tue.[7] Das israelische Fernsehen berichtete, die Kollegen der Soldaten seien wütend über den Brief. Und eine rechtsgerichtete Nichtregierungsorganisation forderte Medienberichten zufolge, die Soldaten allesamt unehrenhaft zu entlassen. Nicht nur Kollegen und Verbände kritisieren die Soldaten. Auch Menschen, die ihnen nahestehen, so sagt eine Unterzeichnerin des Briefes, tun dies: «Meine Familie unterstützt meinen Entschluss nicht, den Brief zu unterschreiben (…) Sie sehen mich an, als sei ich irgendeine Extremistin.»[8] Am 27. Januar 2015 verkündete Israels Armee schliesslich, dass die 43 Reservisten vom Dienst suspendiert wurden, da sie mit ihrem Verhalten die Standards und die Moral der israelischen Armee verletzt hätten.[9] Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die Geschichte dieser Reservisten auf den Gesamtkörper der israelischen Nachrichtendienste und insbesondere die jüngeren Armeekader nach sich ziehen wird.
[1] Israelische Elitesoldaten quittierenden Dienst, unter: http://www.dw.de/israelische-elitesoldaten-quittieren-den-dienst/a17918524 (Stand: 8. 2. 2015).
[2] Günther, Inge: Whistleblower oder Nestbeschmutzer?, unter: http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/whistleblower-oder-nestbeschmutzer-1.18383482 (Stand: 8. 2. 2014).
[3] Rojkov, Alexandra: Israels Elitesoldaten – «Wie Stasi, nur effizienter», unter: http://www.welt.de/politik/ausland/article132222213/Israels-Elitesoldaten-Wie-Stasi-nur-effizienter.html (Stand: 8. 2. 2015).
[4] Vgl. Günther, Whistleblower oder Nestbeschmutzer?, Zitat, ebd.
[5] Vgl. Rojkov,Israels Elitesoldaten – «Wie Stasi, nur effizienter».
[6] Vgl. Günther, Whistleblower oder Nestbeschmutzer?, Zitat, ebd.
[7] Ebd.
[8] Vgl. Rojkov, Israels Elitesoldaten – «Wie Stasi, nur effizienter».
[9] Israels Armee entlässt Geheimdienst-Reservisten nach Protestbrief, unter: http://www.ntv.de/ticker/Israels-Armee-entlaesst-Geheimdienst-Reservisten-nach-Protestbrief-article14396461.html (Stand: 8. 2. 2015).
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