von Michael Suter, Vorstand VSN

Wie werden eigentlich die nachrichtendienstlichen Bedürfnisse einer militärischen Führung durch Aufklärungseinheiten erfüllt? Wie arbeitet militärische Aufklärung dem Nachrichtendienst zu? Gibt es Gegensätze auf welche bei nachrichtendienstlicher Auftragserteilung Rücksicht genommen werden muss?

Jede militärische Führung ist zur Ausrichtung Ihres Handelns auf aktuelle und mögliche Bedrohungen auf nachrichtendienstliche Information angewiesen. Dabei arbeiten spezialisierte Stäbe und Stabsteile dem militärischen Kommandanten zu. Gemäss gängiger NATO-Terminologie ist der Nachrichtendienst Sache des Führungsgrundgebiets 2 (FGG2). Unter dem Begriff Nachrichtendienst werden dabei alle Massnahmen und Mittel zusammengefasst, welche die Beschaffung, Auswertung und Verbreitung von Informationen über Bedrohung, Gefahren und Umwelt umfassen. Insbesondere kann nachrichtendienstliche Tätigkeit auch Gegenmassnahmen zu entsprechenden Bemühungen eines Gegners oder einer Gegenseite miteinschliessen (Gegennachrichtendienst).[1] Im weitesten Sinne geht es also darum, aus Daten über ein militärisches Operationsgebiet aufgrund von spezifisch nachrichtendienstlichen Verfahren entscheidrelevante Informationen zu beschaffen, und diese an die richtigen Stellen zu verteilen.

Nachrichtendienst wird in einer Streitkraft von der taktischen bis zur militärstrategischen Stufe betrieben, wobei jeder Stufe ihre spezifischen Organe zur Verfügung stehen. In modernen Streitkräften ist der Begriff des Nachrichtendienstes daher bewusst breit gehalten.[2] Auf höherer militärischer Stufe kommen die zivilen und militärischen Nachrichtendienste eines Staates zum Einsatz. Spezialisierte Verfügungsverbände (Spezialkräfte, Strategische Aufklärer) stellen die Nachrichtenbeschaffung zu Gunsten der Armeeführung sowie eingesetzter Operationskommandos sicher. Auf operativer und taktischer Stufe werden spezialisierte Aufklärungsverbände eingesetzt. Die Einsatzbrigaden verfügen in der Regel über Aufklärungsbataillone; die Bataillonsaufklärung wird je nach Einsatzform durch spezialisierte Zugsverbände gewährleistet.

Im Gegensatz zur hiervor beschriebenen prozessorientierten Definition von Nachrichtendienst meint Aufklärung ein taktisches, militärisches Vorgehen mit dem Ziel, Nachrichten über den Gegner oder die Gegenseite zu beschaffen. Aufklärung ist also Teil der Nachrichtenbeschaffung.[3]

 

Vom nachrichtendienstlichen Auftrag zur taktischen Aufklärung

Die Hauptherausforderung des nachrichtendienstlichen Prozesses besteht in der Gewinnung von entscheidrelevanten Informationen zu Gunsten des Kommandanten aus den verfügbaren Daten innerhalb der militärisch sinnvollen Zeit. Dabei müssen die verfügbaren Daten so verdichtet werden, dass ein schlüssiges Lagebild generiert werden kann. Insbesondere in Einsätzen gegen hybride Bedrohungen stellt sich die Lage indessen längst nicht mehr als zusammenhängendes Gefechtsbild dar. Fragmentierte Einsatzformen und eine entsprechende Nachrichtenlage sind die Regel. Eine für die eigene Führung verwertbare Absicht aus dieser Datenlage herauszufiltern ist für den Nachrichtenoffizier (Nof) oft nur durch einen interdisziplinären Ansatz sowie den Einsatz verschiedener Sensoren möglich. Die wichtigsten Beschaffungsinstrumente für den Nachrichtenoffizier sind die Mittel der eigenen taktischen Aufklärung. Nur über diese kann der Nof frei verfügen.

Der Kommandant der Aufklärer erhält also auf dem Gefechtsfeld einen nachrichtendienstlichen Auftrag. Der zuständige Nachrichtenoffizier gibt vor, welche Bedürfnisse seine Aufklärer zu erfüllen haben. Der Nof ist dabei gut beraten, wenn er seine nachrichtendienstlichen Aufträge in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Sicht so genau wie möglich präzisiert. Ansonsten läuft er Gefahr, dass die eigene Aufklärung wirkungslos arbeitet. Demgegenüber muss er den Entschluss zur Auftragserfüllung dem taktischen Kommandanten des Aufklärungsverbands überlassen. Grösstmögliche Freiheit in der Auftragserfüllung ist gerade für Aufklärungsformationen, deren Einsatz auf Eigeninitiative und Flexibilität beruht, eine unabdingbare Voraussetzung. Damit steht der Nof bei der Auftragserarbeitung für die Aufklärer in einem Spannungsverhältnis zwischen maximaler Kontrolle des nachrichtendienstlichen Auftrags und der Wahrung der grösstmöglichen Handlungsfreiheit des ihm zuarbeitenden taktischen Kommandanten.

Der Kommandant der Aufklärer hat den ihm zugewiesenen Auftrag zu erfüllen. Gleichzeitig muss er sich des besonderen Werts seiner Mittel bewusst sein. Aufklärer sind aufgrund ihrer besonderen Aufgaben sowie der Begrenztheit und Verletzlichkeit ihrer Mittel im Gesamtrahmen besonders wertvoll. Ausserdem löst erkannte Aufklärung bei einer organisierten Gegenseite fast immer eine unmittelbare Gegenreaktion auslöst. Entschlüsse und Absichten werden geändert, Einsatzverfahren angepasst und andere Zentren der Kraftentfaltung angegriffen. Auch der Kommandant der Aufklärer sieht sich somit in einem Konflikt zwischen möglichst zielgerichteter und effizienter Auftragserfüllung und der sicheren Einsatzführung, die keine Lücken und Schwächen im Dispositiv zulässt. Das Risikomanagement unter Berücksichtigung der Konsequenzen für die vorgesetzte Stufe ist daher für den Aufklärungskommandanten von erhöhter Bedeutung.

 

Die Führungsstaffel des Aufklärungsbataillons richtet den Führungsstandort ein. © Aufkl Bat 5

Die Führungsstaffel des Aufklärungsbataillons richtet den Führungsstandort ein. © Aufkl Bat 5

Von Daten zu Informationen

Die Aufklärer erfüllen die ihnen zugewiesenen nachrichtendienstlichen Bedürfnisse in der Regel selbständig. Während eines Aufklärungseinsatzes werden durch technische Hilfsmittel sowie Beobachtungen der Aufklärer unmittelbar Daten auf dem Gefechtsfeld gewonnen. Bis diese Daten zu nachrichtendienstlichen und letztlich entscheidrelevanten Informationen verdichtet und interpretiert werden können, durchlaufen Sie einen mehr oder weniger langen Prozess. Durch die Entwicklung neuer Kommunikationsmittel sowie die zunehmende Leistungsfähigkeit militärischer Übermittlungssysteme wird der taktische Aufklärer auf immer höherer Stufe unmittelbar an die Operationsführung angebunden. Diese Entwicklung wird durch weitere Tendenzen bezüglich der Führung moderner Konflikte begünstigt. Militärische Führer aller Stufen sehen sich dadurch mehr denn je in der Lage, direkt mit dem taktischen Aufklärer vor Ort zu kommunizieren.

Diese Entwicklung birgt Chancen und Gefahren. Zum einen wird die direkte Informationsbeschaffung für den vorgesetzten Kommandanten einfacher. Er kann sich näher am tatsächlichen Gefechtsfeld bewegen. Der Nebel des Krieges lichtet sich. Auf der anderen Seite verleitet diese Unmittelbarkeit – noch verstärkt durch strategische Brennpunkte auf dem Gefechtsfeld – den militärischen Führer zum Mikro-Management und zu unangemessenem Entzug der Handlungsfreiheit unterer Stufen. Ein solcher Effekt kann in zwei Richtungen verheerend auf den militärischen Einsatz wirken. Einerseits werden Chancen und Möglichkeiten der Unterstellten vereitelt; andererseits verliert der militärische Führer den Überblick im Gesamtrahmen.

Aus nachrichtendienstlicher Sicht besteht eine zusätzliche Schwierigkeit in der Synthese der Daten und deren Verdichtung zu entscheidrelevanten Informationen im Zuge des nachrichtendienstlichen Prozesses. Es ist nicht egal, auf welcher Stufe Daten gesammelt, und wo sie verarbeitet und verdichtet werden. Der Nachrichtenoffizier hat zunächst zu beurteilen, wo im Prozess welche Synthese gemacht wird. Sind diese Syntheseschritte nicht sauber strukturiert und allen am nachrichtendienstlichen Zyklus Beteiligten klar, so besteht die Gefahr nachrichtendienstlicher Fehlleistungen. Nämlich können falsch-positive oder falsch-negative Meldungen im System nach oben gelangen. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass insbesondere in einem interdisziplinären Nachrichtenverbund Mehrfachmeldungen zu Artefakten in der Nachrichtenauswertung führen. Schliesslich gilt es auch, bei aller Dienstleistung zu Gunsten höherer militärischer Kommandostellen die taktischen Kommandanten der eigenen Aufklärung frühzeitig in das Lagebild einzubinden. Die eigene Aufklärung ist nämlich aufgrund ihres Auftrags in erhöhtem Mass auch auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse angewiesen. Je weiter aber eine Nachricht bis zu ihrer Verwertung übermittelt werden muss, desto mehr Zeitverzug erhält der taktische Kommandant der Aufklärer bei der Verfügung der für ihn wichtigen Informationen.

 

Informationsfluss im Aufklärungsbataillon

Am Beispiel eines Aufklärungsbataillons kann die Problematik nachrichtendienstlicher Synthese auf verschiedenen Stufen erläutert werden. Der Informationsfluss vom Sensor, also dem nachrichtenbeschaffenden Element, zum Auftraggeber im FGG 2 der Einsatzbrigade kann verschieden ausgestaltet werden.

Denkbar ist einerseits die Ausgestaltung als ausgeprägt ahierarchisches System. Dabei gelangen Informationen der Sensoren unverarbeitet direkt in das FGG 2 der Einsatzbrigade und werden erst dort verarbeitet. In diesem Fall sind die Risiken nachrichtendienstlicher Fehlleistungen gering. Das vorgesetzte Kommando rückt näher an das Gefechtsfeld. Durch die vielen direkt beim Stabsteil der Einsatzbrigade eingehenden Meldungen kann dieser jedoch überlastet werden. Zudem besteht die Gefahr, durch Informationsüberladung den Nachrichtenverbund zu vernachlässigen sowie in Mikro-Management zu verfallen. Für die Durchführung einer solchen Variante ist das FGG 2 der Einsatzbrigade daher mit zusätzlichen Nachrichtenoffizieren zu verstärken.

Ein anderer Ansatz besteht darin, die durch die Sensoren beschaffte Information bereits auf Stufe Bataillon einer Auswertung zuzuführen. Das FGG 2 der Einsatzbrigade erhält demnach vom Aufklärungsbataillon ein fertiges Lagebild. Diese Variante bringt den Vorteil, dass das Bataillon den nachrichtendienstlichen Zyklus vollständig selbst abbilden kann und das vorgesetzte Kommando direkt mit dem fertigen Lagebild bedient wird. Das FGG 2 der Einsatzbrigade kann sich somit auf die Verdichtung dieses Lagebildes durch den Nachrichtenverbund konzentrieren. Als Nachteil dieses Ansatzes erweist sich dagegen, dass durch die Synthese bereits auf unterer Stufe allenfalls nicht der vollständige Informationsgehalt an den Auftraggeber gelangt.

Es sind noch weitere Ansätze denkbar. Welcher Weg auch immer gewählt wird, den Konsequenzen sowohl für das nachrichtendienstlich arbeitende Personal als auch für die Aufklärer im Feld müssen sich jedoch alle Beteiligten stets bewusst sein.

Mit der Aufklärung den Nebel des Krieges lichten. Quelle: checksbalances.clio.nl

Mit der Aufklärung den Nebel des Krieges lichten. Quelle: checksbalances.clio.nl

Fazit und Konsequenzen

Für den Kommandanten der taktischen Aufklärer ergeben sich nach dem Gesagten folgende Konsequenzen:

  • Kenne deinen Gegner: Richte deinen Einsatz auf seine möglichen Aktionen aus.
  • Kenne dich selbst[4]: Kenne die Verfügbarkeit, Möglichkeiten und Grenzen deiner Mittel.
  • Kenne deinen Auftraggeber: Beschaffe deine Nachrichten so, dass sie für die vorgesetzte Stelle nachrichtendienstlich verwertbar sind. Handle ausgeprägt im Gesamtrahmen.
  • Kenne deine Schwächen: Sei dir bewusst, dass du schnell und unbewusst Interpretationen vornimmst, welche zu Verzerrungen im nachrichtendienstlichen Prozess führen.

Für den Nachrichtenoffizier, welcher die ihm zugewiesene Aufklärung zu führen hat, sind demgegenüber folgende Grundsätze wichtig:

  • Präzision: Lege genau fest, welche Daten über das Gefechtsfeld du benötigst.
  • Freiheit: Der Aufklärer bestimmt, wie er die Nachrichten beschafft.
  • Verarbeitung: Sei dir stets bewusst, wo im nachrichtendienstlichen Prozess was mit den gesammelten Daten passiert.
  • Kunst: Bei allen Daten der Aufklärung bleibt das taktische Führungshandwerk stets Kunst, nicht Wissenschaft. Zum Erfolg gelangt, wer den Entschluss zu fassen vermag, ins Ungewisse hinein zu handeln[5].

[1]              Vgl. RNDA, Ziff. 2.

[2]              Vgl. für die Schweiz Art. 2 VNDA.

[3]              TF XXI, N. 528.

[4]              nach Sun Zu.

[5]              nach Guderian.

Michael Suter ist Jurist, Major und Kompaniekommandant der Aufkl Stabskp 11. Zuvor war er während fünf Jahren Nachrichtenoffizier im Aufkl Bat 11.