Chinas Aufstieg als Seemacht – und wie antworten die USA? Das ist die Frage, welche das Buch zu beantworten versucht. Die Marine der Volksbefreiungsarmee Chinas (PLA Navy) wächst. Doch wie, in welchem Umfang und vor allem, wozu? Chinas Aufstieg zur Seemacht hat Auswirkungen auf die Marinestrategie der Vereinigten Staaten.

 

Die USA haben den asiatischen Pazifikraum zum neuen strategischen Schwerpunkt erklärt. Präsident Barack Obama erläuterte in einer Rede vor dem Parlament im australischen Canberra, als Pazifik-Nation würden die USA „eine größere und langfristigere Rolle in der Gestaltung dieser Region und ihrer Zukunft spielen“. Da neben der Mehrheit der Atommächte auch etwa die Hälfte der Menschheit in Asien beheimatet sind, werde die Region „in hohem Maße bestimmen, ob das kommende Jahrhundert von Konflikt oder Zusammenarbeit, unnötigem Leid oder menschlichem Fortschritt gekennzeichnet sein wird“, sagte Obama.

Um das zu verstehen, beginnen die Autoren Toshi Yoshihara und James R. Holmes mit einer Einführung in das Werk des US Konteradmiral Alfred Thayer Mahan (1840-1914). Mahan definiert als Grundpfeiler für den Status Seemacht eines Staates die Außenhandelswirtschaft, Handels- und Kriegsmarine sowie Kolonien bzw. Stützpunkte. Jeder dieser drei Pfeiler bildet einen Zacken im Dreizack Poseidons, wobei sich die Autoren insbesondere mit dem Zacken „Kriegsmarine“ auseinandersetzen. Es scheint, dass chinesische Analysten sehr den im Westen in Vergessenheit geratenen Autor sehr sorgfältig studieren. Das interessante an seinen Theorien ist das ganzheitliche Verständnis vom Zusammenhang Handel-Flotte-Stützpunkte um eine Nation wirtschaftlich voranzubringen. Mahan schliesst das Recht ein, mit angemessenen Mitteln grösstmöglichen nationalen Fortschritt zu erreichen. Das ergibt zwei Brücken für die nächsten Kapitel im Buch. Zum einen erfolgt eine geographische Analyse – wobei die dem chinesischen Festland vorgelagerten Inseln hervorragende Stützpunkte für eine Machtprojektion in den Pazifik wären. Das wiederum ist ein Hinweis auf die nach wie vor ungelöste Frage um Taiwan. Zum anderen erfolgt eine historische Analyse, in die Autoren die Situation zwischen Grossbritannien und dem kaiserlichen Deutschland vor dem ersten Weltkrieg der Lage Chinas und der USA gegenüberstellen. Deutschland musste aus der Enge der Nordsee ausbrechen, England sah sich in Gefahr und rüstete massiv auf. China, anstelle von Deutschland, muss ebenfalls aus der Enge der Gelben, bzw. Südchinesischen See ausbrechen und sieht sich der seit 60 Jahren den Pazifik beherrschenden US Navy gegenüber. Die US Navy ist kriegserprobt – die PLA Navy war bis jetzt nur vor Somalia bei der Piratenbekämpfung aktiv im Einsatz.

Der Moment scheint gut, eine der vielen dem Chinesischen Festland vorgelagerten Inseln einzunehmen um aus der erwähnten Enge auszubrechen. Taiwan scheint ein perfekter, unsinkbarer Flugzeugträger für die Chinesen zu sein. Ein von China besetztes Taiwan würde erheblichen Einfluss auf die Benutzung der Strasse von Malakka haben, einem der wichtigsten Eingangstore für die Versorgung von Festlandchina. Angenommen, China würde tatsächlich Taiwan besetzen, und die USA würden tatsächlich Intervenieren, wie wären die Seestreitkräfte, die sich gegenüberständen konzipiert? Oder anders gefragt, welche Waffensysteme kämen in den Einsatz? Die USA besitzen mit ihren AEGIS-Schiffen eine hochtechnologische Plattform zur Raketenabwehr was sie zu einem Ziel mit hoher Priorität macht. Können AEGIS-Schiffe versenkt werden, wird der Schild um das Kernelement der US Navy, nämlich die Flugzeugträger, löchrig. Eine ballistische Rakete ist im Vergleich zu einem Flugzeugträger geradezu lächerlich billig. Insbesondere wenn zu „Standardflächenbombardements der früheren Sowjetunion“ gegriffen würde. Dem Vernehmen nach wurde aufgrund der Leistungsfähigkeit der Sensoren auf den AEGIS Schiffen die Panzerung vermindert.

Die Autoren beleuchten in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Aspekt: Unterseeboote. Sie kommen im Wesentlichen zum Schluss, dass China, welches seine Nuklearwaffen „als weitgehend psychologische Mittel in einem Kampf des Willens und nicht als verwendbare Waffen betrachtet“, mit etwa 6 Unterseebooten ein Bedrohungspotential aufbauen könnte. Die Crux daran, die Unterseeboote müssten, um ihre Vorteile voll ausspielen zu können, in den Pazifik gelangen da die chinesischen Küstengewässer nicht sehr tief sind. Die Entdeckungsgefahr in seichten Gewässern ist gross und setzt die Überlebensfähigkeit der Plattform herab, was wiederum den Wert der U-Boote mindert. Einmal mehr zeigt sich, dass China, wenn es seine Ansprüche als Grossmacht tatsächlich durchsetzen will, zwingend die beiden dem Festland vorgelagerten Inselketten überwinden muss.

China beschwichtigt zwar die Nachbarn bezüglich seiner hegemonialen Ansprüche. Doch China ist daran, das Gleichgewicht in den Meerengen auszuhebeln. Westliche Beobachter mussten Einschätzungen überdenken, da die Modernisierungsmassnahmen der Volksbefreiungsarmee, und somit auch der chinesischen Volksbefreiungsmarine, bei weitem das übertroffen haben, was die Beobachter einst für unerreichbar gehalten haben. Die Zeichen stehen nicht unbedingt zu Gunsten der US Navy.

Dieses Buch überzeugt durch seine äusserst fundierten Analysen zu einem Dreizack, der auch uns in der Schweiz vielleicht nicht mitten ins Herz, aber doch immerhin empfindlich treffen kann. Präsident Barack Obama und seine Nachfolger haben noch einen weiten Weg vor sich.

 

Toshi Yoshihara und James R. Holmes: „Der rote Stern über dem Pazifik“;
Hamburg, 2011; Verlag E.S. Mittler & Sohn
ISBN: 978-3-8132-0929-7

 

Rezension von Oberstlt Stefano Campestrin