von Oberstlt Stefano Campestrin

In  der  Reihe  «Studien  zur  Inneren  Sicherheit»  publizieren Autoren des deutschen «Arbeitskreises Innere Sicherheit» grundlagentheoretische und problemorientierte Schriften. Im vorliegenden Sammelband «Versicherheitlichung des Bevölkerungsschutzes» analysieren Autoren mit unterschiedlichstem  Hintergrund  die  aktuelle  Situation  des  Bevölkerungsschutzes in Deutschland.

Cover Versicherheitlichung des BevölkerungsschutzesDer  Bevölkerungsschutz  in  der Schweiz  befindet  sich  in  einer Phase des Umbruchs. Der Bevöl­kerungsschutz  2015+  verwischt die Kantonshoheit in Sachen Be­völkerungsschutz in einigen Be­reichen, die neue Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen basiert auf einer engen Zusam­menarbeit zwischen den Objekt­betreibern und den involvierten Stellen  der  öffentlichen  Hand, und die neuen (alten) Empfehlun­gen zur Beschaffung eines priva­ten  Notvorrates  werden  in  den Medien mit Spott übergossen.

Und Deutschland?

Nach einer langen Phase der Vernachlässigung ist der Bevölke­rungsschutz in Deutschland wie­der ins Bewusstsein der Verant­wortungsträger  getreten,  aller­dings noch nicht der Bevölkerung. Das  scheint  nach  der  Lektüre  des  «Studien»­Bandes  die  gute Nachricht.

Nach dem Mauerfall

Der  Mauerfall  hinterliess  nicht nur in der Verteidigung, sondern auch im Bevölkerungsschutz sei­ne Spuren. Konzeptionslosigkeit und  Sparvorgaben  gepaart  mit Beratungsresistenz  der  Politik (man  wollte  ja  wiedergewählt werden), führten nahezu zur Auf­lösung des Beratergremiums der Bundesregierung für den Bevöl­kerungsschutz.  Die  Fluten  der Oder und der Elbe führten zum schmerzhaften  Erwachen  und zur Erkenntnis, dass es ohne frei­willige  Strukturen  (Feuerwehr, THW)  nicht  geht.  Das  ist  zwar auch  in  der  Schweiz  mit  den Miliz­Feuerwehren der Fall, alle anderen  Partner  im  Bevölke­rungsschutz  jedoch  verfügen über professionelle Strukturen.

 

Vergleich mit der Schweiz

Viele Aussagen und Erkenntnisse, welche die Autoren der Stu­diensammlung ziehen, kann man mit  der  Schweiz  vergleichen. Beispielsweise  die  föderalisti­schen  Strukturen:  Zum  einen, und das ist ein immer wiederkeh­rendes  Thema  in  den  Studien, wird das deutsche föderalistische System als Hemmschuh angese­hen.  Die  Bundesländer  haben kaum  Kompetenzen,  aber  viele Auflagen.  Doch  nicht  nur  die Kompetenzregelung  zwischen der  Bundesregierung  und  den Ländern,  sondern  auch  die  Zu­sammenarbeit  zwischen  den Partnern in den einzelnen Bun­desländern  scheinen  sich  in  ei­nem unglaublich dichten Regel­werk  zu  bewegen  (oder  eben nicht zu bewegen). Zum anderen beispielsweise die Selbstverant­wortung der Bürger. Verwaltung, Organe des Bevölkerungsschut­zes  und  Infrastrukturbetreiber können  viel  zur  Katastrophen­prävention  und  Bewältigung  beitragen.  Der  einzelne  Bürger kommt aber nicht umhin, für sich selber  einige  Massnahmen  zu treffen.  Die  Erkenntnis,  welche die Studie präsentiert, trifft prak­tisch unverändert für die Schweiz zu.  Aufgrund  des  politischen Systems  und  der  Zwänge  der Wiederwahl  möchte  man  den Bürgern  eine  Mehrbelastung  (in diesem Falle durch das Anle­gen eines Notvorrates) ersparen. Spricht man das Thema dennoch an, sind Spott und Häme die Fol­ge.  Diese  Erfahrung  teilen  sich der Ministerpräsident von Sach­sen,  Stanislaw  Tillich,  und  der CdA, KKdt Blattmann.

 

Fazit

Der Sammelband wurde im März 2013  veröffentlicht.  Was  bleibt einem Schweizer, mit der Materie halbwegs  vertrauten  Leser  am Schluss der Lektüre? Der Wunsch, unsere Nachbarn im Norden mö­gen doch bitte die Augen öffnen und für einmal die Schweiz be­trachten. Viele der Forderungen nach  gemeinsamer  Ausbildung der  Partner  im  Bevölkerungs­schutz,  nach  Einbindung  der Wirtschaft in die Prävention und Schadensbewältigung, die Selbst­ verantwortung  der  Bürger  mit einem Notvorrat als erste Rück­fallebene oder auch mit nationa­len Strukturen zum Ressourcen­management in Krisen und Not­lagen  sind  zumindest teilweise verwirklicht. Der Bevölkerungs­schutz  wird  in  gemeinsamen Übungen mit allen Partnern trai­niert.  Es  gibt  auf  allen  Stufen Führungsorgane  –  von  der  Ge­meinde, den Regionen über die Kantone bis hin zum Bund. An dieser Stelle darf an die SVU 14 erinnert werden, die erfolgreich Lücken  und  Schwächen  insbe­sondere  bei  den  Schnittstellen zwischen  Bund  und  Kantonen aufgezeigt hat.

Vielleicht  sollte  der  Bevölke­rungsschutz in Deutschland we­niger  «versicherheitlicht»  und gesetzlich  überreglementiert, sondern  vielmehr  pragmatisch und mit allen Beteiligten auf glei­cher  Augenhöhe  angegangen werden.

Ach, und das Lesevergnügen ent­spricht im Übrigen der Titelge­bung.

 Hans-Jürgen Lange (Hrsg.): Studien zur Inneren Sicherheit, Band 15 «Versicherheitlichung des Bevölkerungsschutzes»; Springer Fachmedien,  Wiesbaden 2013.  ISBN 978-3-658-02199-3