von Maj Lukas Hegi, Vorstand VSN
Literarische Fiktion ist eine mächtige Quelle für die Phantasie. Warum sie also nicht auch für mentales Wargaming benutzen, haben sich Peter W. Singer und August Cole gedacht. Herausgekommen ist ein Kriegsszenario mit zwei Grossmächten, die um die Vorherrschaft im pazifischen Ozean ringen, und das die technischen Möglichkeiten künftige militärischer Auseinandersetzungen beleuchtet.
Peter W. Singer dürfte den meisten bislang eher als erfolgreicher Sachbuchautor und Berater bekannt sein, denn als Verfasser eines Romans. Singer verstand es bisher ausgezeichnet Themen vorausschauend aufzugreifen, welche von enormer Bedeutung für die Gestaltung der internationalen Beziehungen waren, sind und sein werden. Sein Werk über die Private Military and Security Companies (PMSC) (Corporate Warriors-The Rise of the Privatized Military Industry, Cornell University Press, 2003) und seine darin entwickelte Typologie sind nach wie vor massgebend. Ebenso seine Bücher über die Robotik (Wired for War, Penguin Press, 2009) und Cyberwarfare (mit A. Friedman, Cybersecurity and Cyberwarfare, Oxford University Press, 2014). Singer, der derzeit als Stratege an der New America Foundation tätig ist, hat sich für den Roman mit einem Journalisten zusammengetan, der sich im Bereich der Rüstungsindustrie sehr gut auskennt. August Cole recherchierte und schrieb für das Wall Street Journal und ist für den Think Tank Atlantic Council tätig.
Die Story
In naher Zukunft explodiert nach einem Terroranschlag im Nahen Osten der Ölpreis und stürzt die globale Wirtschaft in eine Krise. Besonders davon betroffen sind die Vereinigten Staaten. In China beendet das Militär die kommunistische Herrschaft und übernimmt die Macht zusammen mit Wirtschaftsführern. Zusammen bilden sie das nationalistisch-kapitalistisch orientierte „Direktorium“. Dieses sieht die Zeit gekommen, seine Ansprüche im Pazifik gegenüber den USA durchzusetzen und greift zusammen mit einem opportunistischen Russland die USA unvermittelt und in allen Dimensionen an. Mittels eines Lasers in einer umgebauten Raumstation schalten die Chinesen als erstes die Satelliten der USA aus. Ballistische Lenkwaffen zerschmettern die amerikanischen Schiffe im Pazifik. Daraufhin werden die hawaiianischen Inseln von chinesischen Truppen, die sich in Frachtschiffen versteckt haben und die in Pearl Harbor vor Anker liegen, im Sturm erobert, mit der Unterstützung von Schwärmen automatisierter Drohnen. Es sind am Tag des Angriffs aber nicht allein das Überraschungsmoment und die überlegene Waffentechnologie in den Händen der Chinesen, welche ihnen einen schnellen (vorübergehenden) Sieg ermöglichen. Vielmehr sind die USA und vor allem ihre Rüstungsfirmen seit Jahren systematisch unterwandert und ausspioniert worden. Chinesische Unternehmer haben Firmen aufgekauft und Teile für US-Waffensysteme produziert, um sie am Tag des Angriffs auf Knopfdruck (sog. „kill switch“) unbrauchbar machen zu können. So erweisen sich die zum Beispiel die F-35 Kampfjets als wirkungslos. Die manipulierte Bordelektronik macht Stealth-Technologie nutzlos, indem sie die chinesischen Lenkwaffen den Weg ins Ziel führt. Doch der Tag des Angriffs kennt auch Helden. Marine Corps Major Doyle zum Beispiel, die den Widerstand organisiert und einen Kleinkrieg gegen die Invasoren zu führen beginnt. Captain Simmons der sein Littoral Combat Ship unter Beschuss aus dem Hafen fährt und in die USA zurückkehrt. Gelähmt und handlungsunfähig und ohne Verbündete – die NATO hat sich aufgelöst und die ehemaligen Bündnispartner halten unter dem Druck des „Direktoriums“ still – müssen die Amerikaner erst ihre Rüstungsindustrie wieder hochfahren und massenweise eingemottetes Kriegsgerät wieder brauchbar machen, um den dem Angreifer etwas entgegenzusetzen zu haben. Doch die USA geben nicht auf. Sie bauen rund um die USS Zumwalt, einen Zerstörer neuester Bauart, eine Expeditionsflotte auf, um zurückzuschlagen.
Zugegeben, der Plot erinnert sehr stark an den Pearl Harbor-Narrativ: ein unvorbereitetes und kriegsmüdes Amerika wird hinterrücks angegriffen. Es mobilisiert darauf hin alle Kräfte um zurückzuschlagen. Der Plot ist zugleich auch der schwächste Teil des Buches, weil er den Ausgang so vorhersehbar macht und gewisse Klischees pflegt. Der technische Aspekt und eingebettete Kritik an der amerikanischen Rüstungspolitik machen das Buch jedoch äusserst lesenswert. Singer und Cole Die Autoren sparen hierbei nicht mit Tadel am trägen und verfilzten Verwaltungsapparat der an Rüstungsprojekten festhält, die kaum oder gar nicht die versprochenen Leistungen erreichen, während sie gleichzeitig Kosten und Terminziele bei weitem verfehlen. Das obwohl die Industrie die Komponenten bei immer mehr einzelnen Herstellern einkauft um die eigenen Kosten tief und damit die Gewinnmarge hoch zu halten. Diese zunehmende Auslagerung führt zu einem Kontrollverlust über die eigene Rüstungsindustrie mit den im Buch beschriebenen Gefahren für die nationale Sicherheit.
Fazit
Singer und Cole haben mit Ghost Fleet einen temporeichen, spannenden Roman geschrieben, der die Möglichkeiten des literarischen Gedankenspiels auf der Grundlage realer oder in absehbarer Zeit verfügbarer Technologie voll ausschöpft. Statt trockener Materie, wie sie in den unzähligen Reports der Think Tanks vorliegt, schaffen es Singer und Cole eine Simulation ihres Szenarios im Kopf zu erwecken. Und zwar so realistisch, dass man sich manchmal wie die Zuhörer des Hörspiels von H.G. Wells „Krieg der Welten“ 1938 vorkommt, die sich nicht mehr sicher waren, ob sie nun der Fiktion lauschten, oder ob die USA tatsächlich von Ausserirdischen angegriffen werden. Da hilft es, sich die einleitenden Worte der Autoren ins Gedächtnis zu Rufen, dass es sich hierbei um „a work of fiction, not prediction“ handelt. Hoffen wir, dass sie recht behalten werden.
P.W. Singer und A. Cole, Ghost Fleet-A Novel of the Next World War, Boston: Houghton Mifflin Harcourt, 2015, ca. 35.- Franken.