Lukas Hegi, CR VSN-Bulletin
Der nie restlos aufgeklärte und ungesühnte Terroranschlag auf eine Maschine der Swissair im Jahre 1970 bewegt die Gemüter bis heute. Viele Spekulationen standen im Raum, doch fehlten bisher stichhaltige Beweise, um die Vermutungen zu belegen. Der Journalist Marcel Gyr von der Neuen Zürcher Zeitung wartet nun mit einer aufsehenerregenden These auf, welche die fehlende juristische Aufarbeitung erklären könnte.
Am 21. Februar 1970 explodierte in einer Coronado der Swissair eine Bombe. Das Flugzeug stürz-te daraufhin in den Wald von Würenlingen. Alle 47 Passagiere und Besatzungsmitglieder waren sofort tot. Es war und ist der bislang schwerste Terroranschlag in der Schweizer Geschichte. Die Tragik daran: Die Bombe, welche die Swissair-Maschine an diesem Februarmorgen zum Absturz brachte, hätte eigentlich in einer israelischen Maschine, auf dem Weg von München nach Tel Aviv, liegen sollen. Wegen einer Verspätung wurde das Paket mit der Bombe aber umgeleitet und landete schliesslich in der Coronado der Swissair.
Selbst wenn der Anschlag offenbar nicht gegen die Schweiz gerichtet war, kam er für die Behörden nicht unerwartet. Grund dafür war das im Jahr zuvor abgeschlossene Verfahren gegen drei Palästinenser, welche am Flughafen Zürich ein Flugzeug der El Al am Boden mit Handfeuer-waffen angegriffen hatten. Drei der vier Attentäter konnten fest-genommen werden und erhielten im Dezember 1969 in Winterthur Zuchthausstrafen von 12 Jahren. Für dieses Urteil erntete die Schweiz scharfe Kritik aus der arabischen Welt. Zudem warf man ihr Parteinahme zugunsten Israels vor. Die drei Verurteilten mussten ihre Strafe aber nicht lange absitzen. Sie wurden bereits im folgenden Jahr zusammen mit anderen inhaftierten Gesinnungsgenossen durch die Entführung von drei Flugzeugen nach Zerqa in die jordanische Wüste freigepresst.
Der Hauptgrund aber, warum bei den Betroffenen das Stichwort Würenlingen die Emotionen immer noch hochgehen lässt, ist der Umstand, dass den Verantwortlichen nie der Prozess gemacht wurde, ja gar der Anschein entstand, man wolle sie gar nicht zur Rechenschaft ziehen. Hier setzt Gyr an. Der Grund für den Unwillen zur Strafverfolgung sei ein zwischen dem damaligen Bundesrat Graber (SP) und den Palästinensern ausgehandeltes Abkommen gewesen. Demnach hätte Graber im Alleingang über Jean Ziegler Kontakt zu den Palästinensern aufgenommen und ihnen angeboten, dass sich die Schweiz dafür einsetzen würde, ihre politischen Interessen zu fördern – mit der Einrichtung einer Vertretung in Genf – wenn sie sich im Gegenzug auf einen Verzicht von Terrorakten gegen Schweizer Ziele verpflichten würden. So die These Gyrs.
Brisant daran ist, dass Graber den Schritt auf die Palästinenser zu noch während der Geiselkrise in Zerqa unternahm, wodurch er, wie Gyr zu Recht kritisiert, die Rolle der Schweiz als «lead nation» des Sonderstabes für die Verhandlungen zu kompromittieren drohte, wären diese Kontakte bekannt geworden. Graber setzte nicht nur den Ruf der Schweiz aufs Spiel, sondern riskierte mit diesem Schritt, persönlich sehr viel zu verlieren.
Es ist Marcel Gyr hoch anzurechnen, dass er den Mut und den Willen hatte, die These des Geheimabkommens zu verfolgen, und in einer verständlichen und nicht akademisch trockenen Weise aufzuarbeiten. Im Gewirr internationaler Geheimdiplomatie Spuren zu verfolgen, spricht für seine Hartnäckigkeit. Dass Schlüsselpersonen des Deals inzwischen verstorben sind, macht die Sache nicht einfacher. Gyr hat sorgfältig recherchiert und kann seine These durch die Gespräche mit den Zeitzeugen plausibel untermauern. Auch wenn letztendlich der Beweis für den Deal nie wird erbracht werden können, da es darüber keine Aufzeichnungen gibt.
Nicht ganz unproblematisch ist die Rolle von Jean Ziegler, der gewissermassen als Kronzeuge auftritt. Ziegler hat sich mit seinen oft unkonventionellen Thesen und seiner wenig zurückhaltenden Art viele Feinde gemacht. Seine Glaubwürdigkeit hat er jedoch mit seiner offensichtlich erfundenen Geschichte vom «Schlachtfeld von Thun» verspielt. So bleiben nach der Lektüre auch hier wieder Zweifel betreffend seiner tatsächlichen Rolle zurück.
Leider haben sich auch sonst noch ein paar kleine Unsorgfältigkeiten eingeschlichen. Die Behauptung zum Beispiel, dass sich bis zum Absturz des russischen Airbuses über dem Sinai 2015 nur drei weitere Anschläge auf die zivile Luftfahrt mit Bomben ereignet hätten, ist falsch und widerspricht selbst der Erzählung von Gyr. Eine einfache Recherche fördert bereits mindestens ein Dutzend weiterer Anschläge zutage. Und auch die Behauptung der Entführer von Zerqa, dass sie einen dritten Weltkrieg auslösen könnten mit ihrer Tat, baut der Autor etwas gar unkritisch in seine Arbeit ein.
«Schweizer Terrorjahre» kann den endgültigen Beweis für einen Deal mit den Palästinensern nicht erbringen. Das ist auch Gyr klar. Abgesehen von kleinen Mängeln – die dann in einer überarbeiteten zweiten Auflage hoffentlich beseitigt sein werden – liefert das Buch aber ein solides Fundament an Fakten und Ansichten von Zeitzeugen. Es transportiert seine Grundthese plausibel und überzeugend zum Leser.
Marcel Gyr, Schweizer Terrorjahre-Das geheime Abkommen mit der PLO. Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2016, Preis: 37.90 Franken.