Truppendienst, 18. Dezember 2017
TRUPPENDIENST traf Dr. Gert Polli am 5. Oktober 2017. Der ehemalige Berufsoffizier mit letzter Verwendung im Heeresnachrichtenamt (HNaA), Gründer und erster Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), ehemaliger Chef der Konzernsicherheit bei Siemens, Privatunternehmer im Bereich Intelligence/Security und Sicherheitsberater des BMI, spricht über seine Erfahrungen als Sicherheitsfachmann und Experte für Cyber Security.
TD: Herr Dr. Polli, Sie sind ein Sicherheitsfachmann mit weitem Horizont. Man kann bei Ihnen den Bogen vom fachlich versierten Privatmann über den Sicherheitsspezialisten für Großkonzerne, zum selbstständigen Sicherheits-Unternehmer bis hin zum ehemals militärischen, geheimdienstlichen und polizeilichen Sicherheitsspezialisten spannen. Viele Fragen drängen sich in diesem Kontext auf, von denen TD glaubt, dass Ihre Antworten unseren Lesern im alltäglichen Leben als Richtschnur für das eigene Sicherheitshandeln dienen können. Allen voran, stellt sich jedoch die allumfassende Frage: Was verstehen Sie unter „Sicherheit“?
Polli: Einen Sicherheitsfachmann wie Sie ihn ansprechen, gibt es so nicht. Deshalb nicht, weil Sicherheit in den vergangenen 30 Jahren zu einem inflationären Begriff wurde und fast jedem Bereich zugeordnet wird. Das Thema Sicherheit hat heute eine ungeheure Erweiterung erfahren. Im staatlichen Bereich ist das Thema Sicherheit europaweit zu einer ressortübergreifenden Materie aufgestiegen. In den Köpfen der staatlichen Akteure oder der Politik in Österreich ist das jedoch bis heute nur vereinzelt angekommen. Das bedeutet, dass Fachleute eine profunde Vorstellung davon haben müssen, wie sich das Bedrohungsspektrum und die damit zusammenhängenden Herausforderungen laufend verändern und was das für die Sicherheit und Gesellschaft bedeutet. Die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung sind dabei genauso zu berücksichtigen wie der enorme gesellschaftliche und industrielle digitale Wandel. Das findet seinen Niederschlag vor allem darin, dass die Zusammenarbeit der Ministerien in der öffentlichen Verwaltung neu zu denken ist. Die Zeiten der ministeriellen und persönlichen „Vorgartenpflege“ sind endgültig vorbei. Wichtiger ist vielmehr die Entwicklung von gemeinsamen Arbeitsweisen und ressortübergreifenden Strategien, um sich den neuen Anforderungen zu stellen. Schon aufgrund meiner Vergangenheit denke ich beim Thema Sicherheit an Synergien zwischen dem Verteidigungsressort und dem Ressort für Inneres; die Grenzen und Themen sind fließend geworden. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass das Nebeneinander von innerer Sicherheit und Landesverteidigung zur Disposition stünde. Die Rahmenbedingungen zwischen äußerer und innerer Sicherheit sind neu auszulegen: Sicherheit beginnt nicht in Klosterneuburg und endet auch nicht im 10. Wiener Gemeindebezirk oder an der Staatsgrenze.
Wenn man durch Wien spaziert, sieht man Soldaten vor den diplomatischen Einrichtungen. Das war früher völlig undenkbar. Auch das ist ein Teilaspekt der Sicherheit. Diese endet nicht bei den Schlüsselressorts Verteidigung und Inneres. Sie umfasst Wissenschaft, Forschung, Ausbildung und Schulung und reicht sogar bis hin zu den Kindergärten und unserem Werte- und Bildungssystem. Was wir in Österreich noch nicht kennen, ist eine Institution, die die gesamten Aspekte der Sicherheit zusammenführt und koordiniert und der Politik Handlungsempfehlungen anbietet. Bereits 2001 wurde der Nationale Sicherheitsrat auf parlamentarischer Ebene etabliert. Die bisherige Praxis hat aber gezeigt, dass dieses hochrangige Steuerungsinstrument eher für politische Zwecke instrumentalisiert wird und wenig dazu beiträgt, nationale Sicherheitsprobleme zu lösen. Das ist bedauerlich und hat negative Konsequenzen für das Thema Sicherheit generell. Ich möchte zusammenfassen: Sicherheit ist ein sehr umfassendes Thema. Die einzelnen Aspekte dieses Segmentes sind so wichtig, dass sie zusammengeführt und in eine ressortübergreifende nationale Strategie gegossen werden müssen. Sicherheit ist für mich das zentrale Thema der kommenden Jahre. Es ist genauso für die Weiterentwicklung demokratischer Institutionen sowie für das Sicherheitsbewusstsein der einzelnen Bürger und die Weiterentwicklung der Ressorts essenziell.
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Das gesamte Interview, sowie alle künftigen Teile des Gesprächs mit Dr. Gert Polli, sind auf der Seite der Zeitschrift „Truppendienst“ verfügbar.